Fränzi, der ausfliegt, einen Freund zu finden.

Sprechende Vögel in der europäischen Erzählkultur: Bekannt ist, dass Siegfried, letztlich der Gegenspieler der  Nibelungen, von Vögeln vor dem Zwerg Mime, bei dem er das Schmiede-Handwerk gelernt hatte, gewarnt wurde. Der Zwerg Mime trachtete ihm nämlich nach dem Leben, weil er ihm zu mächtig wurde. Siegfried verstand die Sprache der Vögel durch sein Bad im Drachenblut.

Tiere im Stall sollen um Mitternacht mancher Rauhnächte (zwölf Tagen oder Nächte rund um Weihnachten) die menschliche Sprache sprechen. Pinocchio in dem liebenswerten Kinderbuch spricht mit Tieren.

In "Aschenputtel" wird der Prinz von Vögeln vor der falschen Braut gewarnt, und die Vögel helfen Aschenputtel, der richtigen Braut.

In der vorliegenden modernen Erzählung spricht eine Fliege. Alle traditionellen Elemente, die Märchen mit sprechenden Tieren ausmachen, sind vorhanden.

Das ist eine liebe, vielseitige Geschichte. Individuell. Einmal ist eine Fliege nicht die Böse  (obwohl ich, ich muss es gestehen, zu meinem Leidwesen einmal Dutzende Fliegen mit einem Desinfektionsmittel vernichtet habe. Jemand hatte ein Stück Fleisch in meine Mülltonne geworfen, die nur einmal im Monat ausgeleert wird, und ich wusste nicht, was ich tun sollte).
Die traurige Suche nach einem Freund, wobei man immer wieder an den verschiedensten Typen zu Recht oder Unrecht scheitert, erfährt wohl auch jeder Erwachsene in irgendeiner Form. Mir gefallen das Märchenmotiv, dass man die Sprache der Tiere zu gewissen Zeiten verstehen kann, und die liebevolle Hexe, die die Bäuerin zu sein scheint.

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https://de.wikipedia.org/wiki/Rauhnacht  02.04.17

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Fränzi, der ausfliegt, einen Freund zu finden.

von Manuela Forstner
 SdS Hamburg 2017


„Ihr könnt mit so vielen befreundet sein“, sagt Fränzi. „Mit Ziegen, Hunde, Eseln, Kaninchen. Natürlich auch mit Menschen. Aber das ist manchmal nicht so einfach.“ Er klappt seine Flügel, nach unten und Tränen kullern über sein Gesicht. Niemand beachtet oder hört ihn. Er sitzt oben auf einen Dachbalken, im Ziegenstall. Fränzi ist eine kleine Fliege mit sechs dünnen Beinen und einer riesigen Brille. Auf seinen mittleren rechten Fuß klebt ein gewaltiges, dickes Pflaster.
Seine Spielkammeraden, Flie, Flei, Flo, drei aufgeweckte Flöhe, spielen mit Fränzi meistens lustige Streiche.
„Fränzi, Fränzi wo bist du, lass uns weiterspielen“, plappern sie durcheinander, dabei hüpfen sie durch das Fell, des eingebildeten Ziegenbock Stefan.
„Nö, mag nicht. Ihr seid soooo gemein“, schluchzt Fränzi.
„Ach, komm schon. Ohne dich ist es fad“, säuselt Flie süß.
„Nö, ich suche mir Freunde, die keine blöden Streiche mit mir spielen.“ Fränzi muss schon wieder weinen.
Sein Kopf tut weh. Sein Fuß tut weh. Es muss etwas passieren. Er nimmt ein Stück Rinde vom Balken und kritzelt mit einen kleinen Nagel, eine Nachricht.

Bin mal kurz weg,
mach euch bitte keine Sorgen um mich.
Ich ziehe los und suche mir einen Freund.

Hab lieb
Euer
Fränzi.
Mit leisem Brummen fliegt er raus aus den Stall. Richtung, Gemüsegarten.
Bäuerin Marie, eine pummelige Frau mit einen freundlichen Lächeln, kniet zwischen den Salathäuptln und zupft Unkraut. Leise pfeift sie ein Liedchen, dabei wackelt sie sanft mit den Popo hin und her. Aber das interessiert Fränzi gerade nicht. Er hat ein ganz anderes Ziel. Am hinteren Beet erblickt er einen gewaltigen Kohl und etwas bewegt sich darauf. Fränzi landet ungeschickt, mit seinen verletzten Beinchen.
„Hallo, wer bist du? Ich heiße Fränzi und suche einen Freund.“
„Mampf, mampf ich bin eine Kohlweißling Raupe und habe keine Zeit, muss immer fressen mampf, mampf“, nuschelt sie und beißt ein riesiges Loch in das Kohlblatt.
„Entschuldigung“, säuselt Fränzi.
Sein Blick wandert umher.
Was ist das?
Ein monströser Kürbis breitet sich vor den Karottenbeet aus. Eine fette Nacktschnecke zieht, ihre Schleimspur, über ihn her.
„He. Wer bist du? Ich heiße Fränzi und suche einen Freund.“
„Schön für dich. Ich bin eine Schnecke und muss mich vor der Sonne verstecken. So, jetzt stör mich nicht mehr.“ Mühevoll schleppt sie sich unter den Kürbis, in den Schatten.
Fränzi dreht sich traurig um und lässt seinen Kopf, soweit runterhängen, dass er beinahe sein Pflaster küssen könnte. Unterdessen war im vorderen Teil des Gartens, neben den Gartentürl richtig was los. Seine Aufmerksamkeit war wieder geweckt. Nichts wie hin, da muss ich unbedingt sehen.
„Hallo, alle mit einander. Wer seid ihr? Ich heiße Fränzi und suche einen Freund.“
Ein Stimmengewirr prasselte auf ihn ein.
„Ich bin eine Ameise.“
„Ich bin eine Ameise.“
„Ich bin auch eine Ameise.“
Und jetzt im Chor: „Lass uns in Ruhe, wir müssen unserer Königin dienen. Wir immer arbeiten, wir immer fleißig“, und fort sind sie.
Wieder nichts. Verzweifelt fliegt Fränzi zu einer Ribiselstaude und versteckt sich hinter einer feuerroten Ribiselrispe.
„Warum ist es so schwer, einen Freund zu finden“, flüstert er, und weil er schon sehr müde ist, schläft er gleich ein. Ein heftiges Rütteln reißt ihn aus seinen Traum.
„Edi, bitte nur die roten Ribisel pflücken“, rief die Bäuerin Marie liebevoll.
Edi, wer ist Edi? Fränzi lugt verdutzt hinter seinem Versteck hervor. Eine riesige Patschhand nähert sich in diesen Moment. Hilfe, ich muss hier schleunigst weg. In letzter Sekunde schaffte er es zum nächsten Ast.
Edi ist das Enkelkind von Bäuerin Marie. Er hat blondes Wuschelhaar und seine blauen Gummistiefel trägt er immer in den Ferien auf dem Bauernhof. Edi besucht schon die zweite Klasse und am liebsten, würde er den lieben langen Tag lesen.
„Heute gibt`s leckeren Ribiselkuchen, Edi“, sagt Omi Marie und macht sich auf den Weg in die Küche.
„Wau, da muss ich mit“, sagt Fränzi und schwingt sich in eine Locke, von Edi.
Edi hüpft vergnügt mit seinen Ribiselkübelchen hinter ihr her. Fränzi muss sich fest anklammern, dabei verliert er beinahe seine Brille.
„Omi schau, sind es genug Ribisel“, fragt Edi.
„Lass mal schaun. Ja, Ja, da fangen wir gleich an zu backen.“ Sie schnalzt Edi einen dicken Kuss auf die Wange. Fränzi purzelte dabei in das Ribiselküberl. Mit seinen kurzen Flügelchen flüchtet er auf den Lampenschirm über den Küchentisch. Von da aus kann er alles gut beobachten. Nach einer Weile duftet es herrlich durch das ganze Haus. Omi Marie rührt unterdessen geheimnisvoll in einem Topf am Ofen. Edi sitzt am Tisch und liest ein Buch.
Fränzi fühlt sich das erste Mal in seinen Leben so richtig wohl. „Ich glaube, hier bleibe ich, das ist viel besser als im Stall bei Ziegenbock Stefan und den verrückten Flöhen. Jetzt brauche ich nur mehr einen Freund.“ Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Omi Marie und Edi unterbrechen seine Gedanken.
„Omi, was ist in dem Topf?“
„Heute ist ein besonderer Tag, um Mitternacht trinken wir einen Zaubertee.“
„Wau, so lange darf ich aufbleiben!“
„Und, was passiert dann?“
„Tja, das kann ich dir erst kurz vorher sagen.“
Fränzi wird neugierig. Was mag das wohl sein?
„Der Kuchen ist fertig“; singt Omi Marie.
Edi bekommt gleich ein dickes Stück auf seinen Teller. Er hat einen besonderen Teller, in der Mitte ist ein blaues Auto abgebildet.
Ein paar Brösel fallen auf den Tisch und Fränzi kann nicht widerstehen. Er stürzt sich vom Lampenschirm auf die Kuchenbrösel. Edi sieht die kleine Fliege und nimmt sein Buch. Mit einem lauten Knall schlägt das Buch auf den alten Bauerntisch. Zum Glück haben alte Bauerntische, Rillen und Furchen. Genau im richtigen Augenblick ist eine Rille für Fränzi da. Durch die Wucht wird er hineingeschleudert und sein rechter Flügel bekommt einen heftigen Schlag ab.
„Na super, jetzt kann ich vielleicht nicht mehr fliegen“, und er fängt zu weinen an.
„Wäre ich doch bei Mumo geblieben. Das ist wahrscheinlich meine Strafe.“
Durch das Buch hört er ganz leise Omi Marie sagen: „Edi, es wird gleich Mitternacht, hol dir deinen Becher.“
„Geht’s jetzt los?“
„Ja, das ist ein Zaubertee nach dem Rezept von Ururoma Sofie.“
„Und was kann er.“
„Du möchtest doch schon immer die Tiere verstehen.“
„Wau, das ist ja toll, Omi.“
„So, jetzt, hör gut zu.“
Unterdessen lugt Fränzi ängstlich aus seien Spalt hervor. Omi Marie füllt die Becher.
„Didel, di, Didel, dum dreh dich dreimal im Kreis herum.
Purzelbaum hin, Purzelbaum her und nun trinken wir den Becher leer.“
Omi Marie und Edi werden ganz rot im Gesicht und aus ihren Ohren sprühen kleine Funken.
„Omi, ich glaub es funktioniert nicht“, sagt Edi nach ein paar Minuten.
„Warte, noch ein wenig.“ Mit einen klein Schubs befördert sie in sein Bett, wo er augenblicklich einschläft.
Auch Fränzi wird müde, nach so einen aufregenden Tag. Er malt sich noch aus, wenn doch Edi ihn verstehen könnte, würde er sich sein Freund. Mit diesen schönen Gedanken schläft er sofort ein.
Kaffeeduft und Ribiselkuchenduft steigt Fränzi in die Nase. Mit einen Satz springt er aus seiner Tischrille. Omi Marie sitzt schon bei Tisch. Edi reibt sich noch die Ohren und setzt sich auch.
„Guten Morgen, mein Schatz.“
„Guten Morgen, Omi.“
„Guten Morgen; meine Lieben“, sagt Fränzi.
Edi traut seinen Ohren nicht. Sitzt da vielleicht eine kleine Fliege und sagt, guten Morgen, meine Lieben. Er reibt nochmals kräftig seine Ohren.
„Ja, ja, du hast richtig gehört, die kleine Fliege spricht mit uns“, lacht Bäuerin Marie.
„Hallo, ich bin Fränzi und suche einen Freund“, sagt Fränzi ganz leise. Er möchte Edi nicht erschrecken.
„Hallo, ich bin Edi. Du bist zwar sehr klein, aber ich möchte sehr gerne dein Freund sein“, flüstert Edi.
Fränzi zischt, vor lauter Freude, zwischen Lampenschirm und Kaffeehäferl hin und her. Edi legt für seinen kleinen neuen Freund seinen Kaffeelöffel auf den Tisch, füllt ihn mit ein paar Tropfen Milch und ein paar Brösel von den Ribiselkuchen. Es ist einfach herrlich. Von so einen Freund hat er immer geträumt. Später zieht Edi seine Gummistiefel an, Fränzi schlupft unter eine Locke und sie gehen gemeinsam spazieren, dabei erzählt Fränzi seine Geschichte.
„Flie, Flei, Flo erzählten mir, wenn man beim eingebildeten Ziegenbock Stefan unter den Schwanz schaue, sehe man die ganze Welt und noch neun Dörfer.
Ich wollte die Welt und die neun Dörfer natürlich sehen. Der eingebildete Ziegenbock Stefan war da anderer Meinung, aber ich brumme trotzdem zum hinteren Ende. Ich schlüpfe unter den Schwanz. Stefan erschrickt fürchterlich und fängt zu bocken an. Er wedelt mit seinen Schwanz einmal nach links und einmal nach rechts und vorbei ist es mit der Fliegerei. Ich lande unsanft an der Stallmauer rutsche mit einen Höllentempo in den Futternapf. Dort schlage ich mit den Beinen so fest auf, dass eine riesige Platzwunde am Füßchen aufklafft. Die drei Flöhe biegen sich vor Lachen. Mit letzter Kraft breite ich meine Flügel aus und fliege nach oben, auf den großen Balken.
Frau Rosa, eine alte Spinne, mit Helfersyndrom und einen fetten Kreuz am Rücken, beobachtet alles aus ihrem sicheren Spinnennetz. Sogleich springt sie zu mir und verpasst mir ein dickes Pflaster auf meine schreckliche Wunde.“
„Ist ja, eine fürchterliche Geschichte“, sagt Edi erschrocken.
„Ab heute machen wir alles zusammen, großes Indianerehrenwort. Du kannst sogar bei mir im Bett schlafen“, sagt Edi.
Omi Marie deckt jeden Tag den Tisch für drei Personen. Ihr Essen ist so lecker, Fränzi kann gar nicht genug bekommen. Das ist ein wunderbares Leben. Edi und Fränzi erleben jeden Tag ein neues Abenteuer. Der eingebildete Ziegenbock Stefan und die verrückten Flöhe sitzen neidisch im Stall und schmollen die ganzen lieben Ferien.

Manuela Forstner