Dass auch in modernen Köpfen, salige Frauen, Salkweiber, Waldfrauen herumgeistern, soll folgendes Märchen von Peter Ronacher zeigen. Hier heißen sie allerdings Feen.

 

Peter Ronacher: "Feen unter uns, ein Kinderkrimi" SdS Hamburg 2017

 

 

Feen unter uns, ein Kinderkrimi

Wir sind die Froschberg-Clique und haben einen Unterschlupf im sagenumwobenen Khürnbergerwald gebaut, ein verfallener Vierkanthof mit arg bröckelndem Putz, ganz nah. Nicht weit ist der Römerwall, 2.000 Jahre alt. Die Römer und Nibelungen waren also schon an diesem mystischen Ort. Jetzt kommen wir. Unser letzter Besuch ist schon länger her, eingesteckte Haselnussruten sind sicher 3 m höher. „4 m“ flüstert Gerold, das jüngste Mitglied.“ Gerold war also auch schon einmal da, könnte er es sonst wissen, logo, er war da. Na und-, sage ich.

Von unseren Müttern erfahren wir über geheime Verbindungen, Stadlbauer soll wegen seiner „Anzeige gegen Unbekannt“ bei der Gendarmerie sein. Er will Schadenersatz für zerstörtes Getreide, hat aber keine Beweise.
Das Kornfeld des Bauern Stadlbauer kennen wir. Die kreisrunden Löcher auch.

Während der Bauzeit des Unterschlupfes aus Ästen und Blättern pirschten wir uns einmal in der Dämmerung neugierig bis zum Vierkanthof vor. Plötzlich tauchte ein alter bärtiger Mann mit Pilzkorb auf. Der stille und sonst unsichtbare Einsiedler wirkte auf uns unheimlich und wir beschlossen zu türmen-nach gegenseitigem Blickkontakt.

Die Höflichkeit gebietet es, dass wir uns zunächst einmal vorstellen:
„Das ist mein Freund Harald Cornelson, unser Schnellleser.“
Und das ist Horst, der zukünftige Kunsttischler und jetzige Gitarrenspieler. Er wohnt über mir. Er entlockt der Gitarre besondere Töne und Rhythmus, wie es nur so ohne Noten möglich ist.
Ich halte mit meiner selbst gebauten Stereo-Anlage dagegen. Im Rückblick habe ich eine Fee im Sinn, die sich jetzt bei jedem Start verhaspelt.
Wenn ich das erzähle, glaubt mir das kein Mensch. Sie hat sich bei einem zu heiß gewordenen Transister verbrannt. Und warum? Weil sie einfach zu neugierig war.

Harald kann auf dem Schulweg Karl May-Bücher so nacherzählen, dass einem die Spucke wegbleibt. Und wenn es immer spannender wird und die Zeit nicht reicht, gehen wir den Weg einfach nochmals. Eine Strecke zur Volksschule für „Knaben und Mädchen“ sind immerhin drei Kilometer.
Harald liest einen ganzen Karl May-Band in einer Nacht. Die Bücherei staunt…
Die Klassen haben keine Tische und Sessel. Wir sitzen auf Holzbänken. Wer den sehr lustigen Film „Die Feuerzangenbowle“ kennt, weiß wovon ich spreche. Unser Lehrer führt den Film alle Jahre kurz vor Weihnachten vor. Es wundert mich, dass ihn manche nicht gesehen haben. Jeweils zwei Schüler teilen sich das ins Pult eingelassene Tintenfass mit kohlrabenschwarzer Tinte. Der Schulwart füllt die kleinen Glasbehälter über Nacht auf. Alle schreiben mit Federn. Fortgeschrittene haben eine Löschpapierwiege, die aber nicht immer funktioniert. Vor allem nicht, wenn ein Tropfen auf unseren kurzen Hosen landet. Es gibt zwar „Tintentot“ aber wenn´s im Sonntagsgewand passiert sieht man immer noch einen „Tintentotfleck“.

Wir wohnen in Siedlungshäusern, am Eingang zum Zaubertal nebeneinander oder übereinander, im Klartext: Hochparterre und 1. Stock. Im Kinderzimmer ist ein Splitter aus dem Krieg in der Wand. Wir, das ist meine Mutter, mein Bruder und ich hörten es 15 cm über der Decke zischen und zuletzt krachen. Das bedeutete „Angriff vorbei“. Der Schall ist langsamer als das Licht, viel langsamer. Wieder was gelernt.
Und weshalb kamen die Innenfenster nicht zu Schaden? Weil sie im Keller waren.

Später kommt Gerold zur Clique. Er kann an bestimmten Stellen Signale von unbekannten Wesen empfangen und auch antworten, darf aber nichts verraten, sonst verliert er diese Gabe. Herr Stadlbauer versucht die Ursache der runden Löcher in seinem Kornfeld selbst rauszufinden. Wir sind natürlich hochgradig verdächtig. An spielende Feen denkt er nicht, obwohl es die Gendarmerie ahnen müsste. Jedes Mal, wenn wir ihn treffen, murmelt er in sich hinein.:
„Es Lausbuabn, es dreckaten. Schaut´s dass weiterkummts!“ Das ist Linzer Dialekt.
Wir waren gerade beim Autotypenraten, ein idiotisches Spiel. Es geht so: Einer fragt in die Runde: „Autotype mit z.B.: B? Findet er B wie Bugatti, gibt’s einen Punkt und er darf selbst eine Frage stellen. Wer die meisten Punkte hat, gewinnt. Als ich selbst, ich bin der Peter, und werde auch Petzi, genannt, einmal dran war und der Buchstabe „L“ länger offen war, sage ich: „Lastkracher.“ (Lastwagen) Und dann wurde gelacht, aber so gelacht, dass sich niemand mehr halten konnte. Es spricht sich bis in die Schule rum, sogar Leute, die wir nicht kennen, lachen plötzlich. Aber dann macht Gerold einen Wink Richtung Süden und alles ist still, mucksmäuschenstill.

Am oberen Ende des Kornfeldes sehen wir Herrn Stadlbauer, der wohl etwas nachmisst, in der Hand hält er einen Zollstock. Vielleicht sind dort neue Löcher im Feld. Gerold sieht das auch und wendet sich deshalb an alle mit der Schutz-Behauptungs-Ankündigung-Ablenkung zu einem neuen Thema:
„Wir machen einen Ausflug in den Khürnberger Wald. Überprüft eure Räder!“ Wenn jemand fürs Übersinnliche zuständig ist und so spricht, muss wohl etwas ganz Besonderes dran sein. Nachtigall, ick hör´dir trapsen, denke ich in´s Berlinerische übersetzt. Ablenkungs-mannöver passt da auch, denn schimpfen geht ins Leere, wenn wir nicht da sind. Gute Strategie Gerold!“

Auch am Feld erscheint Stadlbauer jetzt mit einer Begleitung, die wir nicht kennen. Ein Kriminalbeamter. Für ihn sind wir sicher schuldig. Ohne Schuld keine Strafe!
Angeblich sieht man die kreisrunden Löcher heute ganz woanders. Es geht jetzt Schlag auf Schlag. Selbst fremde Leute diskutieren aufgeregt miteinander. Wer ist der Täter? Gerold erfährt von Vorladungen an unsere Mütter als zur Zeugeneinvername. Wie das klingt! Normalerweise werden ja mögliche Täter befragt.
„Wir werden rausfinden, was die Lösung sein könnte und zunächst die Situation vor Ort beobachten. Jetzt ist Gerold gefragt und ich unterhalte mich heimlich mit ihm. Er legt gleich seinen Zeigefinger quer auf seine Lippen und flüstert: Pst. Das Feen-Märchen, seit Jahren immer wieder erzählt, scheint eine Rolle zu spielen und ich flüstere besonders leise.
„Du meinst, es sind echte Feen?“.
„Ja, ich meine nicht nur, da bin ich sicher“ sagt Gerold, vollkommen überzeugt.
„Also hast du Informationen, die wir nicht haben?“
„So kann man es vielleicht nennen“, antwortet er.
„Wegen des Schweige-Gebots darf ich nichts ausplaudern. Es ist viel komplizierter als du denkst, sagt er und entschwindet mit der Meldung: “Komme rechtzeitig zur Abfahrt!“
Ich weiß, dass auf Gerold Verlass ist, bin aber trotzdem besorgt, ob die zugeteilten
Fähigkeiten der Feen, Bestand haben. Sie haben Bestand, höre ich aus dem Nichts. Leben wir vielleicht doch in einer heilen Welt? denke ich. Man weiß nicht alles:
„Warten wir ab. Jeder nimmt für sich eine Jause mit, es kann länger dauern, es ist nicht ausgeschlossen, dass jetzt schon jemand mithört. Reden wir im Flüsterton nur hinter dem Römerwall im Hohlweg und beschränken uns auf das Nötigste.“
Am Beginn des Geheimpfades zu unserem Revier verstecken wir unsere Räder. Dort besprechen wir Einzelheiten. Wir postieren uns etwa 10 m vom Vierkanthof entfernt, rundherum und verständigen uns gegenseitig bei Bedarf mit Singvogel-Gesang.
Peter geht das Gelände um den Vierkanthof nochmals ab: Kein Grund für Panik.

„Gute Idee“, sage ich und frage Gerold, ob er schon etwas gesehen oder gehört hat. Feen können sich bekanntlich unsichtbar machen und nur Gerold könnte Kontakte empfangen oder Beruhigendes vermitteln. Alle Welt meint, dass Fliegen den Vögeln vorbehalten ist, aber Feen tun das auch. Sie sind sehr ängstlich und wollen besser nicht gestört werden. Ihr dürft nicht glauben, dass sie so wie Menschen denken. Nur Spielen tun sie gerne, vor allem bei smaragdgrünem Licht; ihr Licht.

Das muss ein Code gewesen sein, denn plötzlich erstrahlt der Vierkanthof genau in diesem smaragdgrünen Licht. Jetzt geht´s los. Es öffnet sich plötzlich eine Vierkanthofseite zu Berg und Wald, ein ganzes Rudel von Feen schwärmt mit großen Flügeln, eine bleibt kurz hängen, rafft sich auf und folgt den anderen. Alle gucken sich bei diesem Schauspiel erstaunt an. Die Feen lassen uns über Gerold, im Linzer Dialekt, grüßen und bedanken sich für unsere Rücksichtnahme. Diese Mitteilung unterliegt offenbar nicht dem Schweigegebot.

Nun heißt es „Ab geht die Post: Nach Hause!“
Wir kommen alle gleichzeitig am Froschberg an. Unsere Eltern sind froh, dass nichts passiert ist und wussten insgeheim, dass auch nichts passieren wird. Jeder hat jetzt Interessantes zu erzählen. Am Eingang zur Siedlung steht ein lächelnder Gendarm und begrüßt uns per Handschlag jeden einzeln, startet sein Motorrad mit Beiwagen und ruft uns zu: „Am End´ wonns nötig gwes´n wär, olle hätt´n do einepaßt.“
Schade, rufen wir zurück und stellen uns eine Fahrt im Beiwagen vor. Nach einem
kurzen nächtlichen Blick über das Kornfeld: Keine Löcher mehr da.

Im Backrohr bei meiner Mutter wartet ½ m „ausgezogener Apfelstrudel“. Sie hat
Ihren Millimeterpapierstreifen, der schon einmal als Fahne mit Strohalmmast in Aktion war, verwendet. Zum Nachmessen!
Diesem Duft kann niemand widerstehen und zieht auch andere Nachbarn an. Im Volksempfänger gibt es einen Bericht über uns und um acht Uhr abends sollte man unbedingt zu einem Licht-Schauspiel auf dem Lehmberg vor der Ziegelei kommen.

Am nächsten Tag auf der Polizeistube spricht der ermittelnde Gendarm zu den Versammelten: “Kein Schaden, lieber Herr Stadlbauer.“ Leise fügt er hinzu:
“Wonns in da Nocht hingehen, nehmans a Toschnlompn mit. S´is ziemlich finsta.“
Die Ermittlungen sind auch offiziell per stenografischer Notiz eingestellt. Der Kommandant erläutert den Anwesenden Details zu diesem Fall und wendet sich
besonders an die anwesenden Journalisten, die aus ganz Europa angereist sind:

Feen haben bei uns schon öfter wegen eines naturnahen Quartiers für die Durchreise
nachgefragt. Gleichzeitig informieren sie geheim ein begabtes Kind mit übersinnlichen Interessen. So hat die Gendarmarie immer den gleichen Wissensstand wie Gerold. Wenn wir uns über Herold verständigen, meinen wir den Götterboten, der in unserem Sinne und im Sinne der Feen tätig ist. Wir haben hier ein eigenes smaragdgrünes Feenfunktelefon eingerichtet, sagt der Kommandant. Da steht es! und leuchtet auf, als er mit der Hand dorthin weist. Die Kinder haben uns quasi geführt und sich vorbildlich verhalten. Sie wussten überhaupt nichts von der laufenden lautlosen und vielfach auch unsichtbaren Feenbeobachtung aus der Luft.
„Um Mitternacht starten alle Feen zu einem grandiosen Formationsflug, das haben sie wohl bei den grauen Wildgänsen gelernt, zur Weiterreise vom Kamin der Ziegelei aus.“ Die eine Fee mit dem Transistorschaden stolpert schon wieder, ein Lächeln kann ich nicht verbergen. Smaragdgrünes Licht begleitet sie noch lange!“

Jetzt muss ich nur noch erklären was ein Transistor ist. Der Volksempfänger verstärkt das Tonsignal vom Sender mit Radio-Röhren. Ein neumoderner Verstärker macht das mit Transistoren. Eine Fee hat sich besonders interessiert. Trotz riesigen Fortschritten in der Technik und sogenannten „Tarnkappenbombern“ haben Feen Fähigkeiten, die wir wohl nie erreichen werden.




© Peter Ronacher, Radnig 88 9620 Hermagor, Österreich